Abstract
In der Theiß-Region an der nördlichen Peripherie der südosteuropäischen Tellkulturen beobachten wir zwischen 5300 und 4450 v. u. Z. das Auftreten großer bevölkerungsreicher Siedlungen, die durch die Kombinationen unterschiedlicher Siedlungskomponenten, von Tells, Flachsiedlungen und Kreisgrabenanlagen gekennzeichnet sind. In diesem Beitrag ist die Entwicklung einer solchen Mehrkomponenten-Siedlung – Borđoš in der serbischen Vojvodina – rekonstruiert, basierend auf geophysikalischen Untersuchungen, Ausgrabungen, systematischen Oberflächenbegehungen und 14C-Datierungen. Zwischen 4850 und 4700 v. u. Z. wurde in Borđoš eine bereits länger existierende Tellsiedlung durch eine große Flachsiedlung ergänzt oder zeitweise ersetzt. Im Kontext ähnlicher Fundstellen aus dem Theiß-Gebiet und darüber hinaus interpretieren wir diese Dynamik als Ausdruck eines zeitweise verstärkten überregionalen Trends zu Bevölkerungsagglomeration zwischen etwa 4900 und 4700 v. u. Z. Hinsichtlich der Entwicklung von Tellsiedlungen und Flachsiedlungen zeichnen sich innerhalb des Theiß-Gebietes erhebliche regionale Unterschiede ab: Im südlichen Teil des Untersuchungsgebietes bilden Tells häufig die Keimzelle später wachsender komplexer Siedlungen. Dagegen stellen im Norden eher große Flachsiedlungen den Ausgangspunkt großer Siedlungen dar. Tells repräsentieren hier entweder räumliche Separierungen mit speziellen Funktionen oder stellen das Ergebnis einer länger andauernden Besiedlung in einem kleinen Teil der ursprünglichen Siedlungsfläche dar. Diese Größenreduzierung von Siedlungen oder teils ihre komplette Auflassung verstehen wir als Teil eines im Karpatenbecken und dem westlichen Balkan weiträumig sichtbaren Trends hin zu erheblich geringeren Bevölkerungsdichten und räumlich stärker verteilten Siedlungen, der nach 4700 v. u. Z. einsetzte.
Aus Tells- und Flachsiedlungskomponenten bestehende Großsiedlungen der Theiß-Region zeichnen sich durch eine große Diversität hinsichtlich ihrer Größe und räumlichen Konfiguration aus. In Borđoš beobachten wir das Auftreten eines in der Region bisher unbekannten zentripetalen Siedlungslayouts, in dem die Häuser auf einen zentralen Platz im Zentrum der Siedlung ausgerichtet sind. Wir interpretieren die neuartige Siedlungskonfiguration als das Ergebnis des Zusammenschlusses einer im Hinblick auf kulturellen Hintergrund, Identitäten und Netzwerkeinbindung sehr heterogenen Bevölkerung. Demnach können wir die Gruppierung der Häuser um einen zentralen Platz als Ausdruck einer sozialen Organisation verstehen, die in stärkerem Maße als bei Siedlungen mit parallelen Hausreihen auf der Aushandlung kommunaler Belange beruhte.